Zu Beginn der Nuller Jahre wurde die Landwirtschaft mit Veränderungen konfrontiert, die ähnlich folgenreich wie und auf jeden Fall vielschichtiger waren als die Industrialisierung 100 Jahre zuvor: BSE stellte die bisherigen Vorgehensweisen der Viehzucht infrage, der gemütliche, männliche CDU-Landwirtschaftsminister vom Land wurde durch eine streitbare, weibliche und urbane Verbraucherschutzministerin von den Grünen ersetzt, die Digitalisierung hielt auch auf den Höfen Einzug, die Discounter wurden immer mächtiger und drückten die Erzeugerpreise und aus der Nische »Bio« wurde ein Bio-Boom, der Verbraucher gegenüber der Landwirtschaft immer fordernder und selbstbewusster auftreten ließ.


Ich bin in den Achtzigerjahren auf dem Land aufgewachsen und weiß, wie Gülle bei 30 Grad stinkt, wie eine Legebatterie von innen aussieht und wie die Dorfgemeinschaft tickt. Nach dem Abitur habe ich das Dorf verlassen und in einer WG im Hamburger Zentrum gelebt, »urban« war das erstrebte Lebensgefühl. Also kenne ich auch die Erwartungshaltung der Kundschaft im großstädtischen Bioladen und die diffuse romantische (und realitätsferne) Sehnsucht, die Städter mit dem Landleben verbinden. Als wir dann im Studium die Semesteraufgabe bekamen, eine Zeitschrift mit selbstgewähltem Thema zu entwickeln, habe ich ein Landwirtschaftsmagazin ersonnen, das sowohl für Erzeuger - bio ebenso wie konventionell -  als auch für Verbraucher - den Discounter- wie den Bioladenkunden - spannend und diskursiv sein soll.



Kuh beim Fressen

Sie wiegt die breite Brust an holziger Krippe
Und frisst. Seht, sie zermalmt ein Hälmchen jetzt!
Es schaut noch eine Zeitlang spitz aus ihrer Lippe
Sie malmt es sorgsam, dass sie’s nicht zerfetzt

Ihr Leib ist dick, ihr trauriges Aug bejahrt
Gewöhnt des Bösen zaudert sie beim Kauen
seit Jahren mit emporgezognen Brauen
Die wundert’s nicht, wenn ihr dazwischenfahrt

Und während sie sich noch mit Heu versieht
Entzieht ihr einer Milch. Sie duldet stumm
Dass seine Hand an ihrem Euter reißt
Sie kennt die Hand, sie schaut sich nichtmal um
Sie will nicht wissen, was mit ihr geschieht
Und nützt die Abendstimmung aus und scheißt.
(Berthold Brecht)


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